Anlage 1 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses
Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Verordnung von spezialisierter
ambulanter Palliativversorgung (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgungs-
Richtlinie / SAPV-RL)
vom 20. Dezember 2007,
veröffentlicht im Bundesanzeiger 2008, S. 911
zuletzt geändert am 15. April 2010,
veröffentlicht im Bundesanzeiger, S. 2 190,
in Kraft getreten am 25. Juni 2010
§ 1 Grundlagen und Ziele
(1) 1Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung gemäß § 37b SGB V (SAPV) dient dem
Ziel, die Lebensqualität und die Selbstbestimmung schwerstkranker Menschen zu erhalten,
zu fördern und zu verbessern und ihnen ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod in ihrer
vertrauten häuslichen oder familiären Umgebung zu ermöglichen. 2Im Vordergrund steht
anstelle eines kurativen Ansatzes die medizinisch-pflegerische Zielsetzung, Symptome und
Leiden einzelfallgerecht zu lindern.
(2) 1SAPV kann im Haushalt des schwerstkranken Menschen oder seiner Familie oder in
stationären Pflegeeinrichtungen (§72 Abs. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XI)
erbracht werden. 2Darüber hinaus kann SAPV auch erbracht werden
– in Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen im Sinne von §55 SGB
XII und der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne von §34 SGB VIII,
– an weiteren Orten, an denen
- sich der schwerstkranke Mensch in vertrauter häuslicher oder familiärer Umgebung
dauerhaft aufhält und
- diese Versorgung zuverlässig erbracht werden kann
wenn und soweit nicht andere Leistungsträger zur Leistung verpflichtet sind.
(3) In stationären Hospizen besteht ein Anspruch auf die Teilleistung der erforderlichen
ärztlichen Versorgung im Rahmen der SAPV, wenn die ärztliche Versorgung im Rahmen der
vertragsärztlichen Versorgung aufgrund des besonders aufwändigen Versorgungsbedarfs
(siehe §4) nicht ausreicht.
(4) Den besonderen Belangen von Kindern ist Rechnung zu tragen.
(5) 1Die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Patientin oder des Patienten sowie die
Belange ihrer oder seiner vertrauten Personen stehen im Mittelpunkt der Versorgung. 2Der
Patientenwille, der auch durch Patientenverfügungen zum Ausdruck kommen kann, ist zu
beachten.
(6) 1Die SAPV ergänzt das bestehende Versorgungsangebot, insbesondere das der
Vertragsärzte, Krankenhäuser und Pflegedienste. 2Sie kann als alleinige Beratungsleistung,
additiv unterstützende Teilversorgung oder vollständige Patientenbetreuung erbracht werden.
3Andere Sozialleistungsansprüche bleiben unberührt.
§ 2 Anspruchsvoraussetzungen
Versicherte haben Anspruch auf SAPV, wenn
– sie an einer nicht heilbaren, fortschreitenden und so weit fortgeschrittenen Erkrankung
leiden, dass dadurch ihre Lebenserwartung begrenzt ist (§ 3) und
– sie unter Berücksichtigung der in § 1 genannten Ziele eine besonders aufwändige
Versorgung (§ 4) benötigen, die nach den medizinischen und pflegerischen Erfordernissen
auch ambulant oder an den in §1 Abs. 2 und 3 genannten Orten erbracht
werden kann.
§ 3 Anforderungen an die Erkrankungen
(1) Eine Erkrankung ist nicht heilbar, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der
medizinischen Erkenntnisse Behandlungsmaßnahmen nicht zur Beseitigung dieser Erkrankung
führen können.
(2) Sie ist fortschreitend, wenn ihr Verlauf trotz medizinischer Maßnahmen nach dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht nachhaltig aufgehalten
werden kann.
(3) 1Eine Erkrankung ist weit fortgeschritten, wenn die Verbesserung von Symptomatik und
Lebensqualität sowie die psychosoziale Betreuung im Vordergrund der Versorgung stehen
und nach begründeter Einschätzung der verordnenden Ärztin oder des verordnenden Arztes
die Lebenserwartung auf Tage, Wochen oder Monate gesunken ist. 2Insbesondere bei
Kindern sind die Voraussetzungen für die SAPV als Krisenintervention auch bei einer länger
prognostizierten Lebenserwartung erfüllt.
§ 4 Besonders aufwändige Versorgung
1Bedarf nach einer besonders aufwändigen Versorgung besteht, soweit die anderweitigen
ambulanten Versorgungsformen sowie ggf. die Leistungen des ambulanten Hospizdienstes
nicht oder nur unter besonderer Koordination ausreichen würden, um die Ziele nach § 1 Abs.
1 zu erreichen. 2Anhaltspunkt dafür ist das Vorliegen eines komplexen Symptomgeschehens,
dessen Behandlung spezifische palliativmedizinische und / oder palliativpflegerische
Kenntnisse und Erfahrungen sowie ein interdisziplinär, insbesondere zwischen Ärzten
und Pflegekräften in besonderem Maße abgestimmtes Konzept voraussetzt. 3Ein Symptomgeschehen
ist in der Regel komplex, wenn mindestens eines der nachstehenden Kriterien
erfüllt ist:
- ausgeprägte Schmerzsymptomatik
- ausgeprägte neurologische / psychiatrische / psychische Symptomatik
- ausgeprägte respiratorische / kardiale Symptomatik
- ausgeprägte gastrointestinale Symptomatik
- ausgeprägte ulzerierende / exulzerierende Wunden oder Tumore
- ausgeprägte urogenitale Symptomatik
§ 5 Inhalt und Umfang der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung
(1) 1Die SAPV umfasst je nach Bedarf alle Leistungen der ambulanten Krankenbehandlung
soweit diese erforderlich sind, um die in § 1 Abs. 1 genannten Ziele zu erreichen. 2Sie
umfasst zusätzlich die im Einzelfall erforderliche Koordination der diagnostischen, therapeutischen
und pflegerischen Teilleistungen sowie die Beratung, Anleitung und Begleitung der
verordnenden oder behandelnden Ärztin oder des verordnenden oder behandelnden Arztes
sowie der sonstigen an der allgemeinen Versorgung beteiligten Leistungserbringer, der Patienten
und ihrer Angehörigen durch Leistungserbringer nach § 132d SGB V.
(2) 1SAPV wird ausschließlich von Leistungserbringern nach §132d SGB V erbracht, die in
einer interdisziplinären Versorgungsstruktur, bestehend insbesondere aus qualifizierten
Ärzten und Pflegefachkräften unter Beteiligung der ambulanten Hospizdienste und ggf. der
stationären Hospize, organisiert sind. 2Sie wird nach Bedarf intermittierend oder durchgängig
erbracht, soweit das bestehende ambulante Versorgungsangebot (§ 1 Abs. 4), insbesondere
die allgemeine Palliativversorgung nicht ausreicht, um die Ziele nach § 1 Abs. 1 zu
erreichen. 3Sie kann dem jeweiligen aktuellen Versorgungsbedarf entsprechend als
- Beratungsleistung,
- Koordination der Versorgung,
- additiv unterstützende Teilversorgung,
- vollständige Versorgung
erbracht werden. 4Die Leistungen müssen ausreichend und zweckmäßig sein, dürfen das
Maß des Notwendigen nicht überschreiten und sind wirtschaftlich zu erbringen.
(3) Inhalte der SAPV sind insbesondere:
- Koordination der spezialisierten palliativmedizinischen und palliativpflegerischen
Versorgung unter Einbeziehung weiterer Berufsgruppen und von Hospizdiensten im
Rahmen einer multiprofessionellen Zusammenarbeit
- Symptomlinderung durch Anwendung von Medikamenten oder anderen Maßnahmen
- apparative palliativmedizinische Behandlungsmaßnahmen (z. B. Medikamentenpumpe)
- palliativmedizinische Maßnahmen, die nach ihrer Art, Schwere oder Komplexität eine
Kompetenz erfordern, die der einer Ärztin oder eines Arztes mit Zusatzweiterbildung
Palliativmedizin entspricht
- spezialisierte palliativpflegerische Leistungen, die nach ihrer Art, Schwere oder
Komplexität eine Kompetenz erfordern, die der einer Pflegefachkraft mit einer curricularen
Weiterbildung zu Palliative Care entspricht
- Führung eines individuellen Behandlungsplans, vorbeugendes Krisenmanagement,
Bedarfsinterventionen
- Ruf-, Notfall- und Kriseninterventionsbereitschaft rund um die Uhr für die im Rahmen
der SAPV betreuten Patienten zur Sicherstellung der im Rahmen der SAPV erforderlichen
Maßnahmen
- Beratung, Anleitung und Begleitung der Patienten und ihrer Angehörigen zur palliativen
Versorgung einschließlich Unterstützung beim Umgang mit Sterben und Tod
- spezialisierte Beratung der betreuenden Leistungserbringer der Primärversorgung
- psychosoziale Unterstützung im Umgang mit schweren Erkrankungen in enger Zusammenarbeit
z. B. mit Seelsorge, Sozialarbeit und ambulanten Hospizdiensten
- Organisation regelmäßiger Fallbesprechungen
- Dokumentieren und Evaluieren der wesentlichen Maßnahmen im Rahmen der SAPV
§ 6 Zusammenarbeit der Leistungserbringer
(1) 1Im Rahmen der SAPV ist zu gewährleisten, dass die an der Versorgung beteiligten
Leistungserbringer die erforderlichen Maßnahmen aufeinander abgestimmt und bedarfsgerecht
erbringen; die diesbezügliche Koordination ist sicherzustellen. 2Hierüber sind verbindliche
Kooperationsvereinbarungen schriftlich oder mündlich zu treffen. 3Kooperationspartner
ist auch der ambulante Hospizdienst, der auf Wunsch der Patientin oder des Patienten an
der Versorgung beteiligt wird. 4Bei Bedarf und entsprechender Qualifikation kann die dauerbehandelnde
Ärztin oder der dauerbehandelnde Arzt im Einzelfall Kooperationspartnerin
oder Kooperationspartner werden. 5Das Nähere regeln die Verträge nach § 132d SGB V.
(2) Die vorhandenen Versorgungsstrukturen sind zu beachten.
(3) Es ist zu gewährleisten, dass zwischen den an der Patientenversorgung beteiligten
Leistungserbringern zeitnah alle notwendigen Informationen über die vorhergehende Behandlung
unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Regelungen ausgetauscht werden.
(4) Bei der SAPV ist der ärztlich und pflegerisch erforderliche Entscheidungsspielraum für die
Anpassung der Palliativversorgung an die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen.
(5) 1Für die notwendigen koordinativen Maßnahmen ist vernetztes Arbeiten innerhalb der
gewachsenen Strukturen der Palliativversorgung unabdingbar. 2Dieses ist unter Berück-
sichtigung medizinischer, pflegerischer, physiotherapeutischer, psychologischer, psychosozialer
und spiritueller Anforderungen zur lückenlosen Versorgung über die Sektorengrenzen
hinweg zu fördern und auszubauen.
§ 7 Verordnung von SAPV
(1) 1SAPV wird von der behandelnden Vertragsärztin oder von dem behandelnden Vertragsarzt
nach Maßgabe dieser Richtlinie verordnet. 2Satz 1 gilt für die Behandlung durch die
Krankenhausärztin oder den Krankenhausarzt bei einer oder einem von ihr oder ihm
ambulant versorgten Patientin oder Patienten entsprechend. 3Hält eine Krankenhausärztin
oder ein Krankenhausarzt die Entlassung einer Patientin oder eines Patienten für möglich
und ist aus ihrer oder seiner Sicht SAPV erforderlich, kann die Krankenhausärztin oder der
Krankenhausarzt die Verordnung ausstellen, in der Regel jedoch längstens für 7 Tage.
(2) Die ärztliche Verordnung erfolgt auf einem zu vereinbarenden Vordruck, der der
Leistungserbringung nach dem jeweiligen aktuellen Versorgungsbedarf (§ 5 Abs. 2) Rechnung
zu tragen hat und Angaben zur Dauer der Verordnung enthält.
§ 8 Prüfung der Leistungsansprüche durch die Krankenkasse
1Die Krankenkasse übernimmt bis zu einer Entscheidung über die weitere Leistungserbringung
die Kosten für die verordneten und von den Leistungserbringern nach § 132d SGB V
erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132d SGB V, wenn
die Verordnung gemäß § 7 Abs. 2 spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag
der Krankenkasse vorgelegt wird. 2Das Nähere regeln die Vertragspartner nach §
132d SGB V.